- Käpt´n Ahab würde staunen
Die Hudson Bay in der kanadischen Provinz Manitoba ist ein Paradies für Wale - und Walbeobachter. Mehr noch, man kann sogar mit den Belugas schwimmen gehen. Ole Helmhausen hat es erlebt und schildert ein großartiges Abenteuer mit den sanften Riesen der kleineren Art.
“Du bist dran!” Die See ist kalt, grau und kabbelig. Der Wind kommt von Norden, von Baffin Island, und ist, das ist seine Pflicht, bitterkalt. Wie lange hat man sich noch auf diesen Augenblick gefreut? Und jetzt, jetzt möchte man am liebsten woanders sein. An einem Palmenstrand zum Beispiel, oder, hier oben ist man plötzlich gar nicht anspruchsvoll, wenigstens an der Ostsee. Doch jetzt ist es soweit. Ian Thorleifsson zieht Taucherbrille, Schnorchel und einen unförmigen Neoprenanzug aus dem Sack und läßt alles nach vorne reichen. Die übrigen Walbeobachter aus der Gruppe waren schon gestern im Wasser und feixen. Kalt sei die Hudson Bay nur am Anfang. Die Halskrause aus Gummi würge nur ein bißchen. Hinten sei ein kleines Lock im Anzug, das müsse zugehalten werden. Haha.
“Alles klar?” Ian, ein Bär von Kerl, hier oben aufgewachsen, ein Guide, dem man nach zwei Minuten die eigenen Kinder anvertrauen würde, grinst. “Unter Wasser sehen sie nicht so groß aus.” Sie, das sind ungefähr 60 Belugawale, die gerade das Schlauchboot umzingeln. Überall weiße Rücken und schnaufend ausgestoßene Atemfontänen. Hin und wieder, zwischen den Wellen, ein neugieriger Blick aus schwarzen Knopfaugen. Einige interessieren sich besonders für den Außenbordmotor. Sie kommen so nahe heran, dass Ian ihnen die hohe Stirn tätschelt. Die größten sind gute vier Meter lang, die reinsten Kraftpakete. “Ab mit dir”, spornt Ian an, “so etwas erlebst du nie wieder!”
Stimmt. Doch zunächst treibe ich, die Füße in einer Schlaufe und mit dem Gesicht nach unten, wie eine Wasserleiche an einem Seil hinter Ian´s Schlauchboot in 5 Grad kaltem Wasser. Nein, dies ist wirklich nicht die Riviera. Das stark sedimenthaltige Wasser ist braun-grün und nicht tief, so um die drei Meter. Um mich herum gurgelt die Hudson Bay, doch dann mischen sich plötzlich andere Töne in die Wassermusik. Es pfeift und knistert, dann tschirpt es, zuletzt pfeift es wieder, dieses Mal klingt es wie ein Wasserkessel. Ein paar Sekunden später materialisieren sie am Rand der Taucherbrille weiße Schemen im bernsteinfarbenen Nichts. Die Wasserleiche scheint sie zu faszinieren, sie kommen immer näher, vorsichtig und doch, so scheint´s, vor Neugier platzend. Einige schwimmen eine Weile dicht neben mir, die Augen aufmerksam fixiert. Andere schwimmen unter mir, in Rückenlage, und spendieren das delfinartige Perma-Lächeln. Eine Sternstunde. Ein Beliga wird richtig anhänglich. Eine ganze Weile spielt er, neben, unter, hinter mir schwimmend, Eskorte. Ich "spreche" mit ihm, uuuh, mmmmnnnghh, uuaaarrh, so gut es halt geht durch den Schnorchel, und, jawohl, er kommt noch näher, nickt mit dem Kopf und legt sich schließlich auf die Seite, als ob er gekrault werden wollte. Kein Seemannsgarn!
Bis zu 3000 dieser kleinen weißen Wale halten sich während des kurzen arktischen Sommers allein in der Mündung des Seal River auf. In dem flachen Wasser schlagen sie sich die Bäuche mit Kapelin voll, einem kleinen, nährstoffreichen Fisch, und reiben sich die Bäuche am Kieselboden der Bay. Veranstalter der Schwimmübungen mit Beluga ist die Seal River Lodge. Die urgemütliche Herberge steht 140 Kilometer nordwestlich von Churchill auf dem nackten Permafrostboden. Gäste werden stilecht mit einer DeHavilland Beave eingeflogen, Straßen gibt es nicht. Nur eine Wildnis aus moosbekleckerten Steinen, an der die Hudson Bay leckt. Und ihre freundlichen Bewohner, die kleinen weißen Wale.
(Text: Ole Helmhausen, Montréal)