Berühmte Reisende
Pech für O.J. Sampson - oder Glück. Als Outfitter in Kanada gestrandet, wurde dieser O.J. am Ende doch weniger berühmt als O.J. Simpson, der NFL Football Star. Sie erinnern sich: Simpson geriet unter Mordverdacht.
Es wird immer schwerer, als Reisender Regionen zu entdecken und ihnen den eigenen Namen aufzudrücken: Nach Alexander von Humboldt sind ganze Ströme benannt. Goethe, der es nahezu zeitgleich bis Italien geschafft hat, dient heute immerhin noch für Straßennamen.
H.P. Kerkeling wird es dagegen nicht einmal schaffen, dass der Jakobsweg nach ihm auch nur umbenannt wird. Und vielleicht ist das sogar das kleinere Übel, denn er hätte - wie Otto von Bismarck - auch als winziger Archipel oder gar als Hering enden können.
Hier lesen Sie Berichte über Reisende, die es geschafft haben, in unserer Erinnerung weiter zu reisen. Und über solche, die daheim finden, wofür andere in die Ferne schweifen.
Viel Vergnügen!
- Joe Bauer: Nur Barbaren reisen
"Auf Reisen zu gehen kann nicht heißen, eine Hotelbude dem heimischen Schlafzimmer vorzuziehen. Reisen heißt suchen. Dahinter schlummert die ewig erotische Sehnsucht nach dem Unbekannten", sagt Joe Bauer. Der bekennende Reisemuffel, Stuttgarts Stadtflaneur und Kolumnist der Stuttgarter Nachrichten hält es mit Loriot: Was willst du in Rio de Janeiro, solange du deine eigene Stadt nicht kennst? Wer so freundlich über den Tellerrand schaut, darf auf Globalscout auch gegen das Reisen sein.
Joe Bauer weiß, wie Reisen sich anfühlt: rechts auf dem Bildschirmausschnitt des "Flaneursalons"
Joe Bauer (* 1954) ist Autor, Journalist, Kolumnist, Stadtflaneur. Er schaut genau hin, was in seiner Stadt geschieht und bewahrt sich auf seinen Begehungen Stuttgarts den Kontakt zu den Menschen und ihren Stimmungen. Davon leben seine Depeschen, die er unter anderem auf www.flaneursalon.de veröffentlicht und seine Kolumne "Joe Bauer in der Stadt".
von Joe Bauer, Stuttgart
Heute erzähle ich Ihnen, warum ich Reisen hasse. Neulich stiefelte ich hinauf zur Burg Teck, schaute ins weite Land und in den klaren Himmel, und da fiel es mir wieder ein. Im April 2010, als Islands Vulkanasche die Welt verdunkelte, fuhr ich im Zug von Essen nach Stuttgart. Ich blätterte in der Sonntagszeitung, sah die Katastrophen-Schlagzeilen und grinste mir einen bei dem Gedanken an das Chaos auf den Flughäfen.
Dann las ich diese Meldung: "Mit knapp 300 km/h war der ICE 105 Ravensburg gestern Morgen auf dem Weg nach Stuttgart, als plötzlich eine Tür aus der Verankerung riss. Es gab einen ohrenbetäubenden Knall, dann blieb der Zug im Tunnel stehen. Die Tür krachte in den entgegenkommenden ICE München-Dortmund. Vier Fahrgäste wurden durch Glassplitter verletzt."
Am Bahnhof angekommen, fühlte ich mich mal wieder bestätigt: Reisen ist das Letzte, und es ist mir wurscht, ob Sie mich für eine Sofakartoffel oder einen Feigling halten. Feigling ließe ich sowieso nicht gelten, weil die Pharmaindustrie heute über genügend Produkte verfügt, um jedermann angstfrei ins Herz des Vulkans oder ins Auge des Hurrikans zu beamen.
Zu meiner Lieblingslektüre der erweiterten Tourismus-Literatur gehört eine Geschichte des amerikanischen Schriftstellers T. C. Boyle. Sie heißt "Guten Flug" und beginnt so: "Als das Triebwerk unter der rechten Tragfläche auf einmal ein dünnes Fähnchen schmierigen schwarzen Rauchs nach sich zog, spähte Ellen durch das zerkratzte Plexiglasfenster auf die bauschigen Wölkchen, die sich über und hinter ihr türmten, und wusste, dass sie sterben würde."
Reisen heißt suchen - im schlimmsten Fall nach dem verschollenen Gepäck
Die Gewissheit, auf Reisen den Löffel abzugeben, wäre für mich oft genug eine Gnade. Reisen abseits der unerschwinglichen Herrenklassen bedeutet Horror. Viele Reisen haben mit Reisen nichts zu tun. In Wahrheit geht es um eine Ortsveränderung, und in diesem Fall ist die bürokratische Floskel berechtigt: Man wechselt den Standort. Sonst nichts. Morgens noch Kirchheim unter Teck, mittags schon Gran Canaria. Diese Art Mobilität erfüllt nicht annähernd die Leidenschaft des wahren Unterwegsseins. Die Lektüre von Münchhausens Ritt auf der Kanonenkugel wäre entschieden erregender.
Richtiges Reisen, sich bewusst von A nach B zu bewegen, spielt sich so ab: "Die sagenhafteste Mitfahrgelegenheit meines Lebens sollte noch kommen, ein Lastwagen mit flacher Pritsche hinten, darauf sechs, sieben Jungen ausgestreckt, und die Fahrer, zwei junge blonde Farmer aus Minnesota, sammelten jede Menschenseele auf, die sie am Straßenrand fanden - die zwei lustigsten, fröhlichsten, nett aussehendsten Holzköpfe, die zu treffen man sich wünschen konnte . . . Ich rannte hin und sagte: ,Ist noch Platz?' Sie sagten: ,Klar, spring auf, is' Platz genug für alle.'"
Diese Zeilen stammen aus Jack Kerouacs Klassiker "Unterwegs". Das Buch ist nur etwas mehr als ein halbes Jahrhundert alt und seine Botschaft so aktuell wie Huckleberry Finns Floßfahrt auf dem Mississippi. Auf Reisen zu gehen kann nicht heißen, eine Hotelbude dem heimischen Schlafzimmer vorzuziehen. Reisen heißt suchen. Dahinter schlummert die ewig erotische Sehnsucht nach dem Unbekannten. Das gilt für die Flucht der Bremer Stadtmusikanten wie für Goethes Kutschfahrten und Kerouacs Tramper-Touren.
Der Bangkok- und Kenia-Tourist pocht bei seinen All-inclusive-Abstürzen nicht nur auf das Recht, die Tapeten seines Kegelclubs zu wechseln. Er legitimiert seinen Umzugstrieb mit den internationalen Pflichten und kulturellen Ansprüchen des vernetzten Weltbürgers. Dabei brächte ihn jeder Dokumentarfilm auf 3 Sat seinem Ziel mental näher als die miese Hippie-Nummer, ohne Sprachkenntnisse in den Fluren fremder Leute herumzutrampeln.
Ich bin Reisemuffel, und es liegt mir näher, auf den Touristen zu schimpfen, als mich mit der läppische Ausrede zu bedienen, ich hasste Kofferpacken. Kofferpacken ist sowieso für die Katz. Nicht erst einmal bin ich im Hotel einer Stadt mit einer Plastiktüte als einzigem Gepäckstück angekommen. In der Pennertüte befand sich neben einem weißen T-Shirt in Nachthemdgröße eine Zahnbürste mit angeklebter Zweitagescreme und die heiße Luft der nichtsnutzigen Fluggesellschaft. Mein Koffer hatte es mal wieder nicht aufs Laufband des Flughafens geschafft.
In solchen Momenten fällt mir der Komiker Loriot ein: Was willst du in Rio de Janeiro, hat er sinngemäß gesagt, solange du deine eigene Stadt nicht kennst? Rücksichtslos belästigt der Tourist die braven Leute fremder Länder mit einem Benehmen, das ihm zu Hause spätestens beim Verlassen seiner Schenke vierundzwanzig Stunden Knast einbrächte. Und am New Yorker Times Square geht es heute nicht anders zu als auf dem Cannstatter Volksfest. Bayerische Dirndl, so weit das Auge reicht. New York erwähne ich, weil ich die Stadt gelegentlich mit dem heuchlerischen Argument des Reisemuffels heimsuche, dort fände ich den Globus auf einem Fleck und könne deshalb den Rest der Welt mit meiner Touri-Trampelei verschonen.
Die eingangs erwähnte Ellen aus T. C. Boyles Geschichte springt auf ihrem Flug nach New York dem Tod unglückseligerweise doch noch von der Schippe. In Los Angeles gestartet, landet sie mit acht Stunden Verspätung auf dem Kennedy-Airport und begreift, warum Reisen etwas für Barbaren ist. Zuvor hat sie einige Notlandungen ertragen und aus Notwehr das Gesicht eines durchgeknallten Passagiers mit der Gabel zerfleischen müssen. Endlich am Boden, stellt sie sich vor, wie ihre Mutter sie gleich umarmen und sie fragen wird: "Hast du einen guten Flug gehabt?"
Ja klar.
Reisen ist geil.
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Joe Bauer und Stuttgarter Nachrichten.
Quelle: Stuttgarter Nachrichten, 19. August 2011. Redaktion: Peter Kensok, Globalscout.