- Uruguay: Niederrhein mit besserem Wetter
Eine Fahrt ins Landesinnere lässt einen schon bald die Weite und Ruhe Uruguays erspüren. Besonders schön ist der Weg über die Ruta 5 nach Tacuarembó. Flaches, hier und da leicht hügeliges Ackerland, friedlich vor sich hin grasende Kühe, stolze Pferde mit glänzendem Fell, in die Landschaft gestreute Tränken, an denen das Vieh seinen Durst stillt. Hier ist die Pampa noch Pampa, oder auch Pradera, wie sie in Uruguay zumeist genannt wird ...
Bisweilen wird das platte Land von langen Baumreihen durchzogen. Man könnte fast sagen: 1000 Kilometer Niederrhein mit besserem Wetter und Eukalypten statt Pappeln. Hier und da gibt es noch ein paar Oldtimer, die neben einem der kleinen Bauernhäuser stehen und vielleicht sogar noch ihr Gnadenbenzin kriegen.
Mobil mit dem Jeep durch die Pampa ...
... wie einst mit Zügen aus Österreich.
Das Land der Gauchos ist ein ruhiges Land. Die Fahrt im Auto oder auch im Bus ist eine gemächliche Reise über gepflegte Asphaltbänder, auf denen es fast immer geradeaus geht. Kurven gibt es so gut wie keine; warum auch - in einer fast ebenen Landschaft ist die Gerade halt die beste Verbindung von A nach B.
Je weiter Sie nach Norden kommen, desto weiter wird der Horizont. Immer weniger Menschen lassen sich sehen, und auch die Bäume machen sich mehr und mehr rar. Dafür latschen hier und da ein paar Ñandus, jene uruguayische Variante der Straußenvögel, durch das schier unendliche Weideland. Es ist schon seltsam, dass es Vögel gibt, die nicht fliegen können; doch ich denke mir, dass die Evolution sich etwas dabei gedacht hat; die schwerleibigen, ungelenken Tiere würden garantiert dauernd abstürzen.
Kurz vor Tacuarembó kommen wir ins Land der Tafelberge. Sie sehen aus, als hätten Außerirdische ihnen mit einer gigantischen Landschaftsschere die oberen drei Viertel abgeschnitten, um Landebahnen über der Pampa zu schaffen. Erich von Däniken hätte seine helle Freude an diesen seltsamen Erhebungen.
Der kleine Ort San Gregorio de Polanco liegt etwa 140 Kilometer südöstlich von der Provinzstadt Tacuarambó auf einer Landzunge am Río Negro. Fast unvorstellbar breit mäandert der Fluss in die flache Landschaft. Sein kristallklares Wasser streichelt die goldgelben, samtigen Strände. Der Río Negro Fluss ist weit wie das Meer, nur viel besser; denn sein Wasser ist kein bisschen salzig.
Tafelberg Cerro Bottoví.
Fröhliche Kunst in San Gregorio."
Entstanden ist die tolle Badelandschaft durch einen Staudamm in der Nähe der mehr als fünfzig Kilometer entfernten Stadt Paso de los Toros. Wer außerhalb der Saison kommt, hat die herrlichen Strände fast für sich alleine; Entspannung und Romantik pur!
San Gregorio de Polanca - die Heimat der fröhlichen Kunst
San Gregorio de Polanco hat Pep und deutlich mehr Charme als andere Pampa-Städtchen, die zumeist ziemlich öde vor sich hin mit Bildern, bunten Graffitis und originellen Fresken. Es macht richtig Laune, durch den Ort zu streifen und diese fröhliche Kunst zu entdecken!
Die unter deutscher Leitung stehende Posada Buena Vista auf der Calle del Ceibo ist das einzige Hotel in San Gregorio de Polanco, das Zimmer mit dem unvergleichlich schönen Blick auf den Río Negro anbietet. Etwas hinter dem Strand, aber völlig ohne Panorama, liegt das realsozialistisch inspirierte Hotel Los Médanos. Direkt im Ortskern sind mir die Hotelpensionen La Casona auf der Calle José Varela 161 und San Gregorio auf der Calle Artigas 177 aufgefallen, beide einfach, ordentlich und in historischen Gebäuden untergebracht.
Strandidylle und Einsamkeit, Ruhe und Schönheit der Natur, das ist die kleine Wanderung von der Posada Buena Vista nach rechts immer am Strand des Río Negro entlang. Nach zwei Stunden sind Sie einmal um die Landzunge herum und wieder an ihrem Ausgangspunkt zurück. Dabei kann es gut sein, dass Ihnen keine Menschenseele begegnet ist. Bei diesem einmalig schönen Spaziergang wurde mir bewusst, wie überlaufen und laut doch die meisten Feriengebiete im Süden Europas sind.
Von San Gregorio de Polanco aus kann man so richtig in die Heimat der Gauchos eintauchen, das Leben zwischen Viehwirt- schaft und Marlboro-Freiheit erspüren. Der Besitzer vom Hostel San Gregorio organisiert solche Touren, entweder stilsicher mit einem 60 Jahre alten Jeep oder etwas gemütlicher mit einem zeitgenössischen Geländewagen. Wahlweise können Sie ein altes Landgut (Estancia) und eine ebenso betagte Pulpería (Tante-Emma-Laden der Gauchos) besuchen.
Oder Sie lassen sich zum Cerro Portón entführen, einem besonders schönen Exemplar der für die Gegend typischen Tafelberge; eine »hinterm Horizont geht's weiter- Aussicht« ist bei klarem Wetter inbegriffen. Besonders toll ist die Tour am späten Nachmittag, wenn die Sonne glutrot hinter den Rücken von Pferden untergeht, die wie lebendige Scherenschnitte auf den Hügeln stehen.
Valle Edén, das Tal Eden, hat wirklich etwas von der Lieblichkeit des biblischen Gartens. Das Örtchen ist in eine friedliche Hügellandschaft mit malerischen Flüssen, kleinen Wasserfällen und schönen Aussichtspunkten gebettet. Es liegt an der Ruta 26, knapp 30 Kilometer westlich von der Provinzhauptstadt Tacuarembó. Schon bei der Anfahrt zeigt sich rechts von der Straße etwas ganz Besonderes: der Cerro Cementerio, ein bis vor kurzem noch als Friedhof genutzter Tafelberg mit Grabhöhlen und einem Kreuz oben drauf. Da der magische Ort eingezäunt ist, empfiehlt es sich von Tacuarembó kommend den Feldweg rechts vor dem Berg zu nehmen, sich dann gleich wieder nach links zu wenden und bei dem kleinen Bauernhof direkt vor dem Hügel um Einlass zu bitten. Der Blick von oben über das weite Hügelland ist Spitze.
Der winzige Weiler von Valle Edén kann gleich mit einer ganzen Reihe von Sehenswürdigkeiten aufwarten: Eine höchst fotogene Hängebrücke aus dem Jahre 1928, die man unbedingt ausprobieren muss - das gute Stück schaukelt beim Betreten geschmeidig wie ein altes Trampolin. Dabei macht die Brücke auch heutzutage durchaus noch Sinn; wenn der Fluss etwas höheres Wasser hat, ist es unmöglich, über die mit Beton gegossene Furt auf die andere Seite zu gelangen. Der seit 1987 stillgelegte Bahnhof ist hübsch hergerichtet und gibt den sterblichen Überresten von zwei in Österreich gebauten Schnellzügen aus den 1950er Jahren Museums-Asyl. Einstmals jagten die futuristisch anmutenden Triebwagen von Montevideo zum Valle Edén und zurück; heute starren sie aus leeren Scheinwerferhöhlen in die Landschaft wie Urmel aus dem Eis.
Last but not least das patriotische Museum Carlos Gardel. Die Biografie des berühmten Tangosängers, vor allem sein Geburtsort, blieben stets geheimnisumwittert. Hier nun erklingt seine samtige Stimme effektvoll im Hintergrund, und die anschaulichen Exponate erzählen die uruguayische Version der wahren Lebensgeschichte Gardels. Es könnte tatsächlich stimmen, dass er in der Nähe von Tacuarembó geboren ist. Das Grab seines Vaters Carlos Escayola befindet sich ebenfalls in Tacuarembó.
An der Ruta 14 etwa 45 Kilometer nordwestlich der Stadt Trinidad findet sich eine ganz und gar außergewöhnliche Felsformation, die Gruta del Palacio. Elefantenfußdicke Säulen bilden ein Höhlenlabyrinth, das wie der Eingang zu einem urzeitlichen Palast in den Fels hineinführt. In der Tat hat die Natur Millionen von Jahren gebraucht, um aus verschieden festen Gesteinen qua Erosion diese einzigartige Höhle zu schaffen. Anlass und Zeit genug für die Bildung von Legenden über indigene Könige, die hier wohnten und ihre Schätze versteckt haben sollen. Erwiesen ist aber lediglich, dass vor langer, langer Zeit in dieser Gegend einmal Dinusarier herumgelaufen sind und der Nachwelt ihre Knochen hinterlassen haben ...
Besuch am Grab Carlos Escayolas.
Sehenswert: die Gruta del Palacio.
Bilder und Text: Daniel A. Kempken; Redaktion: Peter Kensok
Daniel A. Kempken wurde 1955 in Mönchengladbach geboren. Er hat die Juristerei studiert und danach als Rechtsanwalt und Notar gearbeitet. Davor und zwischendurch war er Fließbandarbeiter, Trödler, ehrenamtlicher Sozialarbeiter und Reiseleiter. Seit 1989 ist er in der Entwicklungszusammenarbeit tätig. Seine Reisen führten ihn in diverse Länder vor allem in Lateinamerika. Gelebt hat er in Deutschland, Spanien, Sambia und Ecuador. 2012 reiste er beruflich für mehrere Jahre nach Honduras. Eine Besprechung seines Buchs »Schlaglichter Uruguay«, aus dem der Autor Globalscout diese Leseprobe zur Verfügung gestellt hat, gibt es hier.