Thomas Bauer
Frankreich erfahren
KEN. Es gibt Bücher, bei denen gerate ich schon mit dem ersten Satz in einen faszinierenden Strudel und will mehr davon. Wie bei einer Achterbahnfahrt, und eins, zwei, drei ist alles vorbei. Auf Bücher übertragen, wäre ich dann schneller als mir lieb ist bei den Danksagungen und denke: Gern wieder! Thomas Bauer und »Frankreich erfahren« sind etwas Besonders - und eben anders.
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Durch »Frankreich erfahren« habe ich mich etappenweise fortbewegt. Im Gegensatz zu Achterbahnen kann man bei Büchern zwischendurch aussteigen, wenn sie sich anfühlen wie eine 4000 Kilometer lange Frankreich-Umrundung in 45 Tagen auf einem 40 Kilo schweren Postrad mit Anhänger. Thomas Bauer hat genau das gemacht: seine ganz persönliche Tour de France mit einem robusten Postrad statt mit einer Rennmaschine, auf der jedes Jahr die Superdoper um den nächsten Skandal wettradeln.
Ganz rum mit dem Postrad
Die Idee hat was: Frankreich rundum! Von La Rochelle an der Atlantikküste geht es nach Bayonne, von dort über Lourdes nach Marseille, dann rauf in den Norden nach Strasbourg, von dort nach Saint-Malo und dann wieder runter nach La Rochelle. Thomas Bauers Radrundfahrt ist damit eine der originelleren Reiseabenteuer dieser Tage mit vergleichsweise einfachen Mitteln. Er hat unglaublich viel zu sagen. Und er tut das auch.
Mein erstes Ausstiegskriterium erwischte mich vielleicht deshalb ziemlich genau rund um La Rochelle: das Hohelied auf die unübertroffene französische Sprache und die »verspielte« Natur der Franzosen. Als Ethnologen lernten wir früh, dass die Verherrlichung des Anderen im Gegensatz zum Eigenen immer verdächtig ist. Denn grüner ist es immer drüben, und Drüben von dort dann wieder hier.
Franzosen zum Beispiel sind bei aller Liebe zum Objekt eben nicht irgendwie alle gleich toll. Es heißt schließlich zum Beispiel »Speisen wie (!) Gott in Frankreich« und meint nicht, dass alle Franzosen damit Götter sind oder gar alle Götter in Frankreich wohnen. - Auch Schwaben schlotzen Viertele.
Eine Sprache voller raffinierter Ausnahmen und Mehrdeutigkeiten ist eben nicht nur das Französische. Das bestätigen die meisten, die als Immigrationswillige »Deutsch für Ausländer« büffeln mussten. Dass jemand Französisch geil findet, und ich bleibe mal bei der Sprache, garantiert ihm deshalb keinen Platz neben französischen Philosophen und Revolutionären wie Jeanne d'Arc, deren Leben Thomas Bauer zwischendurch schulmeisterlich nacherzählt.
Radfahren rund um Frankreich hatte ich mir als etwas sehr Lebendiges vorgestellt. Ich wollte mich beim Lesen faszinieren lassen von Licht und Schatten der Landschaften. Ich wollte den Wind in starken Verben hören und jeden Muskel im Körper spüren. Ich wollte den Wein riechen, sobald der Korken mit einem dezenten »Plopp!« aus der Flasche ist, und dem Käse auf knackendem Baguette erlauben, mir das Wasser im Mund zusammenlaufen zu lassen. Das alles sollte gewürzt sein mit Begegnungen, die über das Staunen über ein Postrad auf dem Hoheitsgebiet der »Grande Nation« hinausgehen.
Und ich wollte zwischendurch richtig verschnaufen können und müssen, erschöpft vom Mitfahren beim Lesen statt vom Zuhören dessen, was da an zu persönlichen Bewertungen geschrieben steht. So fühlte ich mich leider schon früh abgestraft wegen und in einer Sprache, die nach Thomas Bauer weit weg von dem sein soll, was er den Nachbarn pauschal als Wortgewalt unterstellt. Er ist in diesem Sinn - auf Deutsch - ja recht willig, und trotzdem passiert ihm dieses hier:
- »Um eine Geschichte mit dieser Bedeutung müssen sich einfach ein paar Legenden ranken ...«. - Ach was!
- »Die Nässe dieses Pärchens wird nur noch von der meiner Wenigkeit übertroffen.« - Bescheiden geht anders.
- »Genau wie die Liebebereitschaft der Damen, der Baguettekonsum und die Anzahl der Baskenmützen ist auch die Qualität des französischen Frühstücks dazu prädestiniert, notorisch überschätzt zu werden.« - Prädestiniert notorisch!
- »Als ich in Agde einfahre, kommt es mir vor, als röche ich dessen Salz in der Luft, sähe seine Strände in den Bewegungen der Stadtbewohner, hörte seine überschäumende Lebensfreude im Akzent der Begrüßungen, schmeckte sein Temperament in den dampfenden Cassoulet-Töpfen und tropffrischen Meerestierplatten der Restaurants, ehe es mir endlich wie ein blauweißer Spiegel entgegenleuchtet, das Mittelmeer.«
Germanistisch ist das wahrscheinlich alles einwandfrei verknotet. Und doch immer wieder so sehr mit abgespreiztem Finger, dass ein platter Reifen bei voller Geschwindigkeit bergab selbst auf einer geraden Straße spannender wäre als zwei Platten voll mit diesen frisch zubereiteten Meerestieren. Hey, Mann, wir sind heute internet und wissen spätestens seitdem: Wir reden nicht auf Stelzen!
Klar, es gibt auch eine bescheidene Seite bei Thomas Bauer. So verdiene man als Autor, wenn man die Masse der Mitbewerber betrachtet, eben nur wenig. Er lässt sich das Reisen trotzdem nicht nehmen. Das erklärt er beim Abendessen einem älteren Herrn, der wahrscheinlich dankbar ist, dass endlich wieder jemand seine tausendmal erzählte Lebensbeichte hören mag.
Oft genug jedoch ist es umgekehrt mit dem Entgegenkommen. Thomas Bauer ist schließlich auf die »Dienstleistungen« der Franzosen angewiesen, wie er immer wieder sagt. Auch wenn gerade alle Hotels einer Kleinstadt wegen einer Familienfeier ausgebucht sind und ihn gar nicht erwartet haben, schlägt sein preußisches Herz für Kundenfreundlichkeit. Ist aber auch wahr: Wenn man schon mit einem Postrad unterwegs ist, sollen sich die Besuchten doch um einen kümmern wollen und notfalls alle Regeln brechen, die ihnen im härtesten Fall den Job kosten könnten. Wie auf dem Campingplatz, der bereits geschlossen hatte. So sind die Franzosen eben: verspielt und voll auf Risiko.
Natürlich lernen wir in »Frankreich erfahren« auch eine Menge Sachliches über Frankreich. Die meisten Zahlen, Daten und Fakten wären dabei in Kästen besser aufgehoben gewesen. Schon der Übersicht wegen. So wirken sie - durchaus fleißig - in die eigene Meinung aus Prospekten und Reiseführern nachvertextet. Deren Zweck ist von vornherein, Reisende jeder Bildungsschicht zu locken. Sie vermeiden deshalb bewusst den Anspruch großer Literatur, was immer das auch sein mag. Reiseerzählungen und -reportagen sind irgendwo dazwischen, ohne XXL-Sätze voller alter und fremdsprachlicher Wörter. Die plätschern wie Schlauheiten noch älterer Deutschlehrer vor sich hin, bis die Stirn auf die Schreibtischplatte knallt.
Vielleicht sieht Thomas Bauer das sogar genauso, und genauso vielleicht sage ich trotz aller Eindrücke nichts, was ihm wirklich neu sein wird. Deshalb soll er zum Schluss noch einmal selbst zu Wort kommen, in der Ausführlichkeit, die ihm in »Frankreich erfahren« am ehesten entspricht:
»Ich bin ein Hektiker. In mir ist eine ozeanische Energie, die immer überallhin ausbrechen will und nach allen Seiten überschwappt. Unruhig tigert sie im Gefängnis ihres Körpers umher, lauert auf Auswege und greift gierig nach allen Möglichkeiten, sich mitzuteilen. Ich kann reden wie ein Wasserfall, und mein Körper dreht nach langer intensiver Belastung erst richtig auf. Manche nennen das Lebenslust und kommen mit meiner zupackenden Art ganz gut zurecht. Anderen gegenüber entfalte ich rasch ein nicht von der Hand zu weisendes Nervpotenzial ...« - Daraus kann man etwas machen, denn Einsicht ist ein Meilenstein auf einem Weg, der auch ein gutes Ziel sein könnte.