- Entscheidet eine Sporttherapie made in Germany über die Weltmeisterschaft?
»Die WM ist der Härtetest für die wirksameren medizinischen Konzepte«, sagt Dr. Eberhard Jörg. Der Sportorthopäde aus Wernau bei Stuttgart ist Autor des Grundlagenwerks »Das Myoreflexkonzept – Schmerzfrei mit aktiven Muskeln«. Mit diesem Verfahren wird Dr. Kurt Mosetter (Konstanz) die US-Nationalmannschaft unter Jürgen Klinsmann auf den Punkt genau fit machen. – Die Fragen stellte Peter Kensok, Globalscout, Stuttgart.
Philipp Lahm mit Problemen am Sprunggelenk. Matts Hummel hält die 120 Minuten DFB-Endspiel wegen einer Fußblessur nur mit Schmerztabletten durch. Sebastian Schweinsteiger spielt seine Entzündung im Knie mit »wie eine Erkältung« herunter. Welche Faktoren spielen nach dem Myoreflex-Konzept bei solchen Verletzungen eine Rolle?
Eberhard Jörg: Die körperlichen Belastungen im Profisport sind bei Turnieren noch höher als in der laufenden Liga-Saison. Da die Zeit zwischen den Spielen knapp ist, reicht sie für die vollständige Regeneration selten aus. Obwohl durchtrainierte Sportler sich vergleichsweise schnell erholen, hinterlassen zu kurze Pausen auch bei ihnen Erschöpfungsrückstände.
Welche Folgen hat das für die Spieler der WM?
Eberhard Jörg: Die Sportler werden nach einer gewissen Zeit mit mehr oder weniger auffälligen Koordinationsstörungen zu tun haben. Die Muskeln bewegen sich dann weniger geschmeidig und zuverlässig; und das erhöht die Verletzungsgefahr.
Was können Sportler dagegen tun?
Eberhard Jörg: Leistungssportler sollten neben ihrer Leistungsfähigkeit immer auch ihren Stoffwechsel und ihre Regenerationsgeschwindigkeit trainieren. Außerdem müssen sie sich immer wieder auf den enormen psychischen Stress und den Erfolgsdruck einstellen. Auch die beeinflussen die Regenerationsgeschwindigkeit.
Können diese Ursachen auch auf Patienten übertragen werden, die keinen Leistungssport betreiben?
Eberhard Jörg: Wir können diese Faktoren auf jeden Menschen übertragen. Der Umgang mit Belastungen ist eine Fähigkeit und kann gelernt werden. Egal ob sie körperlicher oder psychischer Art sind: Häufen sich Ermüdungsreste durch Belastungen, klagen viele Patienten zum Beispiel über Spannungskopfschmerzen.
Was sind hier die Vorteile der Myoreflex-Therapie gegenüber konventionellen oder gar operativen Methoden?
Eberhard Jörg: Die Myoreflextherapie greift direkt in die neurophysiologischen Regelkreise der Muskulatur ein. Wir verstärken die Spannung des Muskels und regeln dadurch seinen Grundtonus herunter. Die gestärkte Durchblutung sorgt dafür, dass Schlackenstoffe besser abtransportiert und die Muskelzellen mit mehr Sauerstoff und Nährstoffen versorgt werden. Hinzu kommt der neurophysiologische Effekt, dass durch die Myoreflex-Therapie aktive, verletzungsbedingte Bewegungsmuster überschrieben werden.
Wenn auf diese Weise die Bewegungsgeometrie wieder hergestellt wird, können dadurch auch klassische operative Maßnahmen vermieden werden?
Eberhard Jörg: Operationen sind nach unseren Erkenntnisse erst bei wirklichen, strukturellen Läsionen nötig. Wer Schmerzen beim Training hat, gebraucht seine Muskulatur falsch. Dementsprechend muss er auf muskulärer, neurophysiologischer Ebene behandelt werden. Sonst therapieren wir nur die Symptome als Spitze des Eisbergs.
Werden deshalb zum Beispiel nach einem Austausch der Hüfte die Beschwerden wieder auftauchen, weil die Muskulatur nicht umgelernt hat?
Eberhard Jörg: Die Wahrscheinlichkeit dafür ist ziemlich hoch. Das Myoreflex-Konzept berücksichtigt deshalb auch psychische, ernährungsbedingte und sonstige naturheilkundliche Faktoren. Es ist ganzheitlich und schließt die Krankengeschichte sowie eine Analyse des Verlaufs der Leistungskarriere mit ein. Natürlich sind die Normwerte des Stoffwechsels bei einem Leistungssportler dabei viel schärfer als die der Nomalbürger.
Kurt Mosetter, Sie haben den Leistungssport für Ihr Myoreflex-Konzept begeistert und wurden 2011 eingeladen, als sportärztlicher Therapeut die US-Fußballnationalmannschaft in Brasilien zu betreuen. Wie haben Sie Jürgen Klinsmann von Ihrem therapeutischen Ansatz überzeugt?
Kurt Mosetter: Jürgen Klinsmann ist auf mehreren Ebenen ein herausragender Mensch und ein außergewöhnlich weitsichtiger Trainer. Offenheit, Ehrlichkeit, Geradlinigkeit, Differenziertheit, ein positiver Perfektionismus und sein gutes Körpergefühl sind nur einige seiner Besonderheiten. Er hat nach Rückenschmerzen und einem Bandscheibenvorfall 2008 sehr gute Erfahrungen mit der Myoreflextherapie gemacht. Aus unserer ersten Begegnung entwickelte sich eine langjährige Freundschaft mit regelmäßigem kreativem Austausch über ganzheitliche Lösungen. Das Myoreflexkonzept gehört dazu.
Dr. med. Kurt Mosetter studierte Humanmedizin und spezialisierte sich auf die Physik des neuromuskulären Systems. Er ist unter anderem Autor von »Zucker – Der heimliche Killer«, Begründer der Myoreflextherapie und Leiter des ZiT – Zentrum für interdisziplinäre Therapien Network. Kurt Mosetter betreute 2006 Spieler der TSG 1899 Hoffenheim, 2010 Spieler des HSV Handball und ist seit 2011 Mannschaftsarzt der Fußballnationalmannschaft der USA. |
Was wird das Wichtigste in Brasilien sein, um die Spieler auf den Punkt fit zu bekommen?
Kurt Mosetter: Allem voran stehen sicher die Qualitäten der Spieler und ihrer Trainer. Deutschland und die USA haben zwei hervorragende Nationaltrainer. Der deutsche Fußball hat sich seit 2004 phantastisch entwickelt. Das liegt sowohl an Jürgen Klinsmann als auch an Joachim Löw. Seit 2011 treibt Jürgen Klinsmann diese Entwicklung auch in den USA voran. Er ist Chef-Coach und technischer Direktor in einer Person. Wir dürfen gespannt sein, wie sich sein Team bis zu den Weltmeisterschaften 2018 weiterentwickelt.
Aber jetzt ist erst einmal Brasilien dran. Welche Rolle spielen dabei neue medinzische Konzepte?
Kurt Mosetter: Sicher werden unsere Spieler (die der USA, Anmerkung der Redaktion) unter anderem mit den Elementen des Myoreflex-Konzepts top fit. Kraft, Schnelligkeit, Flexibilität, Entspannungsfähigkeit und neuromentale Fitness werden biologische Resultate unseres guten Gesamtkonzeptes sein. Eine intelligente Ernährungssteuerung ist für unsre Spieler darüber hinaus Pflicht.
Was heißt das zum Beispiel?
Kurt Mosetter: Süßgetränke und zu viel Zucker sind schädlich, das gehört längst zum Allgemeinwissen. Über die Aktivierung des Ruhenerven Vagus werden wir eine bessere Regeneration in der Nacht und einen besseren Schlaf einleiten. Dabei gilt: Nur wenig Kohlenhydrate am Abend!
Welche Möglichkeiten bietet das Myoreflex-Konzept hinaus, die Erholungsphasen zwischen den Leistungsspitzen zu optimieren?
Kurt Mosetter: Wir werden die muskuläre Synchronisierung der US-Spieler optimieren. Dadurch werden sie nach Spitzenleistungen wesentlich besser entspannen und regenerieren. Nach unseren Erfahrungen beschleunigt sich durch unser Konzept der Abbau von Laktat und Ammoniak über neuromuskuläre Entlastungen. Die Muskeln sind schneller durchblutet und insgesamt besser versorgt. Das gilt übrigens für den Leistungssportler ebenso wie für den Patienten aus dem normalen Praxisalltag.
(Bilder: Eberhard Jörg (1), Peter Kensok (1))
Lesen Sie auf Globalscout auch den Bericht
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